Deutsch als Zweitsprache – Expertinneninterview

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Im Gespräch mit Nurdan Alp

In den letzten Jahren ist die Zahl neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher mit geringen Kenntnissen in der deutschen Sprache gestiegen. Für viele dieser jungen Menschen ist der wichtigste Ort für den Erwerb von Deutsch als Zweitsprache, abgekürzt DaZ, die Schule. Die Möglichkeiten von Schule in diesem Bereich sind jedoch begrenzt. Denn den gestiegenen Zahlen stehen mangelnde Kapazitäten und Ressourcen gegenüber. Und so nimmt die DaZ-Förderung von Kindern und Jugendlichen auch in der Arbeit der Chancenstiftung und ihrer Kooperationspartner inzwischen einen wichtigen Platz ein. In unserem Expertinneninterview mit Nurdan Alp vom Rhein-Ruhr Bildungszentrum in Wesel rücken wir das Thema in den Fokus.

Frau Alp, Sie selbst sind zweisprachig in Deutschland aufgewachsen, haben also von klein auf die deutsche und die türkische Sprache gelernt. Welche Rolle spielen die beiden Sprachen in ihrem Leben?

Ich kann alle meine Anliegen mit der deutschen Sprache sorgenlos ausdrücken. Das erleichtert mir den Umgang mit der Gesellschaft. Wenn einem die Worte zum Sprechen fehlen, würde mich das ziemlich frustrieren. Da ich auch mit der türkischen Sprache aufgewachsen bin, fühle ich eine intensive Verbindung zu dieser Sprache. Ein Stück Heimat ruft die türkische Sprache in mir hervor.

Welche Bedeutung spielt der Erwerb der deutschen Sprache für Kinder und Jugendliche nichtdeutscher Herkunftssprache in unserer Gesellschaft?

Meiner Ansicht nach spielt die deutsche Sprache eine wichtige Rolle für Kinder und Jugendliche. Sprache ist Macht. Kinder und Jugendliche nichtdeutscher Herkunftssprache sollen die Macht haben, ihre Anliegen, Gefühle, Sorgen, Bitten, Bedürfnisse problemlos auszudrücken. Erst wenn sie die deutsche Sprache beherrschen, werden sie auch in ihrem Alltag, in ihrer Schule und später auf der Arbeit zurechtkommen. Sie werden durch den Erwerb der deutschen Sprache, den Unterrichtsstoff besser mitbekommen. Genau das werden sie auch spüren: Die Sprache zu verstehen und die damit verbundene Leichtigkeit, sich ausdrücken.

Sie sind seit drei Jahren als DaZ-Lehrerin tätig, was ist Ihnen in der Arbeit mit den Lernenden besonders wichtig?

In erster Linie möchte ich im DaZ-Unterricht die Möglichkeiten der Unterstützung für Zweitsprachlernende anbieten. Selbstverständlich gehören dazu eine offene Fragekultur, Erklärungs- und Übersetzungshilfen, zweisprachige Wörterbücher sowie Lernpatenschaften. Insbesondere beschäftige ich mich mit der Förderung der Lesekompetenz und mit dem Verfassen von Texten.

Was zeichnet in Ihren Augen ein gutes DaZ-Angebot aus?

Angesichts der vielfältigen Herausforderungen und Aufgaben im Unterricht mit sprachlich heterogenen Klassen und Lerngruppen sollten im Rahmen eines guten Angebots folgende Themenfelder behandelt werden: Sprachsensibler Fachunterricht, Herausforderungen des Deutschen als Zweitsprache, Alphabetisierung, Unterricht in mehrsprachigen Gruppen, Aufgabenentwicklung und Materialevaluation.

Wie laufen die ersten DaZ-Unterrichtsstunden mit Kindern und Jugendlichen ab, würden Sie uns einen kleinen Einblick geben?

Die Kinder und Jugendlichen wissen oftmals nicht, was sie erwartet. Anfangs sind sie noch ziemlich zurückhaltend und ruhig. Nach einigen Stunden gewöhnen sie sich ein und bringen Freude mit in den Unterricht. In den ersten Stunden lernen wir uns kennen. Dafür bekommen sie Arbeitsblätter. Gemeinsam lesen und lernen wir, wie man sich vorstellt. Manchmal kommen Schüler*innen aus dem gleichen Land und bekommen dies erst mit, nachdem wir uns gegenseitig vorgestellt haben. Andere Schüler*innen haben am selben Tag Geburtstag. Durch diese Gemeinsamkeiten kommen die Schüler*innen sich untereinander näher. Die zu Beginn angespannte Situation entwickelt sich somit zu einem entspannten Klassenklima.

Inwiefern hat sich der DaZ-Unterricht in den letzten Jahren verändert bzw. entwickelt?

In den letzten Jahren hat die Zahl der neu zugewanderten Studierenden ohne Deutschkenntnisse zugenommen. Schüler*innen unterschiedlicher Nationalitäten mit und ohne Fluchthintergrund besuchen allgemeinbildende und berufliche Schulen. Dies bietet vielfältige Chancen, aber auch Herausforderungen für die Erziehung und Betreuung sowie die Elternarbeit.

Welche Chancen und Herausforderungen sind das in Ihren Augen?

Die größte Herausforderung ist das Sprachniveau, aber auch die sozialen Gegebenheiten der Kinder fordern Eltern, die Kinder selbst und nicht zuletzt die Lehrkräfte heraus. Denn die Rahmenbedingungen der Kinder, die sie in ihrem allgemeinen sozialen Leben haben, sind nicht optimal für das Lernen. Unter die sozialen Gegebenheiten fallen die finanziellen Möglichkeiten, die Familienstruktur und die allgemeine Kompetenz zur Integration. Die Chance bei der Integration dieser Kinder ist die Vielfalt in der Gesellschaft. Damit ist gemeint, dass Kinder sich den deutschen sozialen Normen und Strukturen anpassen können, aber auch eigene kulturelle Wertvorstellungen mitbringen. Dies ermöglicht es uns, neue Perspektiven einzunehmen.

Wie sehen Sie die Rolle der Schulen im DaZ-Bereich? Was würden Sie sich hier wünschen?

Die DaZ-Förderung braucht gute sprachliche Vorbilder. Die Lehrkraft ist ein wichtiges sprachliches Vorbild, das für einen abwechslungsreichen sprachlichen Input und einen bewussten Umgang mit der Unterrichtssprache sorgt. Außerdem braucht es ein sprachreiches Lebens- und Lernumfeld. Alle alltäglichen Situationen im Umfeld der Schüler*innen bieten Kommunikationsanlässe, die gleichfalls als handlungsorientierte Sprachlernanlässe zu nutzen sind bzw. genutzt werden können. Spracherwerb findet nicht nur im Klassenraum statt, sondern auch auf dem Schulhof, in der Freizeit und mit Freund*innen. Zu empfehlen ist deshalb die Planung kommunikativer Lernsituationen, die neben Gruppenarbeit auch die Interaktion auf Schulwegen, in Pausen oder bei Ausflügen einschließen.

Welche Rolle kommt Anbietern wie Ihrem Bildungszentrum im Bereich DaZ zu?

Schüler*innen, die von Beginn an in Regelklassen integriert sind bzw. die nach und nach am Fachunterricht teilnehmen, benötigen die Aufmerksamkeit von Lehrkräften, die für sprachliche Problemfelder in ihrem Fach sensibilisiert sind. Oftmals benötigen die Zweitsprachlernenden auch Zeit für die Vermittlung von Arbeitstechniken wie den Umgang mit Heften und Büchern, für das Markieren, Abheften oder Ordnen.

Ich erinnere mich sehr gerne an den Dankesbrief unserer Stipendiatin Elif zurück, die nach einem Jahr Stipendium mit DaZ-Unterricht nicht nur in der Schule besser geworden ist, sondern sich auch selbstbewusster mit anderen Menschen austauschen kann. Sie schreibt: „Es hat uns viel Spaß gemacht, in der Klasse zu plaudern.“ Welche Erfolgserlebnisse Ihrer Schüler*innen sind Ihnen im Gedächtnis geblieben?

Der zehnjährige Milad konnte zu Beginn seines Unterrichts bei uns weder schreiben noch lesen. Nach einem Jahr beherrscht er das Lesen als auch das Schreiben, kann fortgeschrittene Sätze bilden und daraus zusammenhängende Texte gestalten. Ein anderes Beispiel ist der acht Jahre alte Ümit. Ümit hatte große Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache, jedoch war er mathematisch sehr begabt. Die Sprache war ein großes Hindernis, um seine Begabung voll ausschöpfen zu können. Denn er hatte große Probleme, Sachaufgaben zu verstehen. Nach mehreren Monaten intensiver Förderung durch Lesen, Schreiben und Kommunikation, konnten wir diese Hindernisse überwinden. Jetzt erzielt er in Mathematik die bestmöglichen Noten.

Das Interview führte unsere Stiftungsleiterin Melanie Dries.

Infobox

Weitere Informationen zum Thema finden Sie in unserem Blogbeitrag „Deutsch als Zweitsprache – Sprache ist Macht“. Über unseren Kooperationpartner, das Rhein-Ruhr Bildungszentrum in Wesel, können Sie sich hier informieren.

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Weitere Informationen zum Thema finden Sie in unserem Blogbeitrag „Deutsch als Zweitsprache – Sprache ist Macht“. Über unseren Kooperationpartner, das Rhein-Ruhr Bildungszentrum in Wesel, können Sie sich hier informieren.

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