Lehrermangel und Bildungsgerechtigkeit

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Lehrkräftemangel in aller Munde – ein Aspekt findet trotz der breiten Diskussion vergleichsweise wenig Erwähnung: Die unterschiedlich starken Auswirkungen des Lehrkräftemangels je nach individueller, sozialer und familiärer Ausgangssituation. Wo Bildungsungerechtigkeit erfahren wird, trifft der Mangel an Lehrerinnen und Lehrern noch einmal überproportional hart. Entsprechend wichtig erscheint es also, auch vor dem Hintergrund gleicher Bildungschancen für alle, über den aktuellen Lehrermangel zu reden.

Deutschland hat zu wenig Lehrpersonal. Durchgehend bis ins Jahr 2035 sollen laut Kultusministerkonferenz (KMK) jährlich rund 1600 Lehrkräfte an deutschen Bildungseinrichtungen fehlen. Für die zunehmenden Abgänge in den Ruhestand und die Entwicklung der Schülerzahlen kommen einfach nicht genug ausgebildete Lehrkräfte nach. Diese Erkenntnis ist zwar nicht gänzlich neu, die vorgeschlagenen Notmaßnahmen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) werden aber seit Anfang des Jahres heiß diskutiert.

Lehrkräftemangel in großen Zahlen – und Länderunterschieden

Nach Angaben der Kultusministerien der Länder sind in Deutschland zurzeit mehr als 12.000 Lehrstellen unbesetzt. Das ergab eine Umfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Dabei meldeten einige Bundesländer, wie das Saarland, Brandenburg oder Bayern eher ein Überangebot, während andere Bundesländer, wie Nordrhein-Westfalen oder Berlin, mit einem großen Mangel konfrontiert sind.

Der deutsche Lehrerverband geht allerdings von einer weitaus höheren Vakanz aus. Der Verbandspräsident, Heinz-Peter Meidinger, hält die Zahlen für geschönt und vermutet einen dreimal höheren Lehrermangel. Das liege, so Meininger, daran, dass viele Bundesländer entweder Eltern sowie nicht-pädagogisches Personal als Schulhelfer*innen einsetzen und diese als Lehrkräfte in der Statistik auftauchen oder Stunden je nach Lehrermangel gestrichen werden, womit der Bedarf zumindest auf dem Papier gedeckt sei. Laut Meidinger handelt es sich somit um den „größten Lehrkräftemangel seit 50 Jahren“, welcher eine große Bedrohung für die Zukunftschancen der Jugend darstelle.

Was leisten unkonventionelle Maßnahmen für mehr schnelle Verfügbarkeit von Lehrkräften – was nicht?

Um diesem Mangel und seinen Auswirkungen entgegenzuwirken, hat die SWK eine ganze Reihe an Maßnahmen empfohlen, wie zum Beispiel:

  • Teilzeitarbeit begrenzen, Einsatz von Lehrkräften im Ruhestand
  • Weiterqualifizierung von Gymnasiallehrkräften für andere Schulformen
  • Hybridunterricht in höheren Jahrgangsstufen sowie Erhöhung der Selbstlernzeiten
  • Vorbeugende Maßnahmen zur Gesundheitsförderung
  • Mehr Möglichkeiten zum Quer- und Seiteneinstieg

Dabei versuchen die Bundesländer ganz individuelle Anreize zu schaffen: Brandenburg wirbt mit der Verbeamtung nach nur drei Jahren Studium; Baden-Württemberg will zur Entlastung das Freiwillige Pädagogische Jahr einführen; Sachsen-Anhalt wiederum beauftragt eine Headhunting-Agentur, um Fachkräfte im EU-Ausland zu werben.

Kritik ernten die Empfehlungen vor allem von Seiten der Bildungs- und Lehrergewerkschaften. Meidinger wähnt bei der Einschränkung von Teilzeit und dem Hochsetzen des Rentenalters noch mehr Lehrkräfte auf dem Weg in die Frühpensionierung – oder in den Burnout. Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Gerhard Brand, hebt hervor: „Mit diesen Maßnahmen wird das Versagen der Politik auf dem Rücken der Lehrkräfte ausgetragen.“ Letzten Endes sind aber vor allem die Schülerinnen und Schüler die Leidtragenden – verbunden mit der Frage, ob die pragmatischen Abkürzungen, die den obigen Maßnahmen innewohnen, auch besonders herausfordernden Lehr- und Lernsituationen angemessen gerecht werden.

Wenn der Lehrermangel auch Förder- und Betreuungsangebote beeinträchtigt

Laut einer repräsentativen Eltern-Umfrage von forsa im Auftrag des Nachhilfeinstituts Studienkreis beobachten mehr als 60 Prozent der Eltern schulpflichtiger Kinder einen Lehrermangel. Schlechtere Unterrichtsqualität und das Nicht-Erreichen von Lernzielen sind laut 86 Prozent der befragten Eltern die Folge des Lehrkräftemangels. So sind laut der Studie auch die Förderangebote und die Ganztagesbetreuung vom Lehrermangel betroffen.

Dabei ist das Überbrücken von Lernrückständen und -lücken vor allem für Schülerinnen und Schüler aus sozioökonomisch benachteiligten Familien herausfordernd. Viele befürchten, dass die soziale Schere weiter auseinanderdriftet. Der 16-jährige Ivan, der aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet ist, verdeutlicht die Wichtigkeit von Lehrer*innen als konstante Unterstützung:

„Ich heiße Ivan. Ich bin 16. Ich mag diese Schule, hier habe ich sehr gut Deutsch gelernt. Ich kann besser Deutsch verstehen und in meinem Leben kommunizieren. Ich bin glücklich. Ich schwöre, Melissa ist eine sehr gute Lehrerin.“

Gemeinsam mit der Chancenstiftung und Lehrerin Melissa hat er über einen Zeitraum von vier Monaten im Rahmen des Projekts #Chance4Ukraine die deutsche Sprache gelernt. Gerade diese Kontinuität, die hier eine entscheidende Rolle gespielt haben dürfte, gerät mit jedem weiteren Kapazitätsengpass in Gefahr.

Schule anders denken, Schule neu denken – Möglichkeiten und situative Grenzen

Neben Initiativen von Stiftungen, Vereinen oder Elternvertretungen gibt es bereits positive Beispiele, wie Schule anders und neu gedacht werden kann – gerade auch zum Wohle von Kindern in schwierigen Lernsituationen. Margret Rasfeld, ehemalige Schulleiterin der Evangelischen Schule Berlin Zentrum (ESBZ), regt in ihrem Essay „unlearn bildung” zu mehr partizipativen und bindungsorientierten Erfahrungsräumen an, die Begeisterungsfähigkeit, Gestaltungsmut und Kreativität der Schüler*innen fördern. Durch altersübergreifende Projektarbeit zu kommunalen und globalen Fragen wird, so Rasfeld, eine „lebendige regionale Bildungslandschaft“ ermöglicht, bei der das gemeinsame Lernen der Schüler*innen, Lehrer*innen, Eltern und Kommunen im Mittelpunkt steht. Schule kann und soll ein Beziehungsgeflecht aus bereichernden, stärkenden und tragenden Beziehungen sein. Eine Schule als partizipatives System ermöglicht einer Bildungsgerechtigkeit für alle – trotz ungleicher und ungerechter Voraussetzungen – näher zu kommen.

Es stellt sich die Frage, ob Empfehlungen wie jene von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission Raum lassen für das Beschreiten solcher neuen Pfade und ob sie die Unterrichtsqualität nachhaltig gewährleisten können. Die derzeitige Situation könnte auch Anlass dafür geben, das System Schule nachhaltiger und tiefgreifender zu verändern. Ob die Veränderungen aber ermöglichen, dass unter Berücksichtigung von Chancengerechtigkeit individuelles, interessengeleitetes und gemeinsames Lernen wieder möglich wird, bleibt fraglich.

Einzelne ungünstige Aspekte werden zu einem großen Lehrermangel-Ganzen

Wer in der Schule ohne nennenswerte soziale Benachteiligungen dasteht und ohne spezielle Bedürfnisse, die sich aus aktuellen oder fortlaufenden Sondersituationen und Notlagen ergeben, wird durch die diskutierten Punkte nicht so stark benachteiligt. Wer aber ohnehin Benachteiligung erfährt, gerät im Vergleich noch einmal überproportional stärker ins Hintertreffen bei Aspekten wie

  • rein zahlenmäßigem personellen Mangel
  • durch unterschiedliche Betrachtungsweisen ggf. kaschiertem faktischen Mangel
  • Quereinstiege und Verschiebungen in der Lehrerqualifikation, deren Ausbildung für Spezialsituationen dann möglicherweise nicht durchweg gegeben ist
  • weniger Spielraum für neue Ansätze und neues Lernen

Um die Gleichheit der Bildungschancen zu stärken oder sie zumindest in Situationen der Knappheit nicht weiter ins Ungleiche driften zu lassen, bedarf es einer deutlichen Berücksichtigung der Bedürfnisse Benachteiligter beim Lösen des Lehrkräftemangels.

Loslegen mit einem Stipendium der Chancenstiftung

Es gibt viele Gründe, warum es in der Schule mal nicht so klappt. Je größer die Probleme sind, desto wichtiger ist es, Unterstützung zu erhalten. Die beste Möglichkeit: professionelle Nachhilfe! Und genau die bieten wir mit unserem Bildungsstipendium an. Wie man sich in nur fünf Schritten bewerben kann, erklären wir hier.

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